Kapitel 17: Der Ruf des Okeaniden-Planeten

Vorspiel auf der Erde – Das Flüstern der Tiefe und Gaias unumstößlicher Plan

Lange bevor die Menschheit die technologischen Segel setzte, um die gewaltige, sonnenlose Leere zwischen den Sternen zu durchqueren, pulsierte auf der Erde bereits ein stilles, abgründiges Wissen. Es war verborgen in den unergründlichen, druckvollen Weiten der Ozeane, einem Reich ewiger Dämmerung, das mehr Geheimnisse barg als der sichtbare Nachthimmel. Dort, in dieser schwebenden Stille, lebten die Oktopusse, Wesen von einer Intelligenz so alt und fließend wie die Gezeiten selbst. Ihr Bewusstsein kannte keine starren Grenzen, wie die menschliche Wissenschaft sie so lange zu ziehen versucht hatte; es war ein Kontinuum, das in die Vergangenheit und vielleicht sogar in die Zukunft reichte. Ihr lautloses Ballett der Farben, die komplexen, lebendigen Muster, die wie flüchtige Gedanken über ihre Haut flossen, waren unendlich mehr als nur Tarnung; sie waren eine lebendige Chronik, ein stummes Epos, erzählt in der Sprache des reinen Lichts. In diesen fließenden Hieroglyphen las man Geschichten vom Universum selbst, von wirbelnden Geburtsstätten der Sterne und den großen, kosmischen Zyklen – ein Wissen, so alt und tief wie die Ozeane, die es ehrfürchtig hüteten.

In einem der fortschrittlichsten ozeanographischen Institute an der Küste von Neo-Kyoto, dessen gewaltige Wassertanks wie gläserne Lungen direkt mit dem Pazifik verbunden waren und bei jeder Flut leise zu atmen schienen, saß Dr. Samir Abbas in der gedämpften Stille vor einer Phalanx aus Monitoren. Die Luft war schwer, eine greifbare Mischung aus dem klinischen, scharfen Geruch von sterilem Ozon aus den Filteranlagen und dem tiefen, salzigen, fast metallischen Hauch des Pazifiks, der durch die Lüftungsschächte sickerte. Vor ihm, in einem der größten Becken, schwebte ein Pazifischer Riesenkrake, ein Geschöpf von so majestätischer, uralter Intelligenz, dass sein Team ihn ehrfürchtig „Der Chronist“ nannte. Dr. Abbas lehnte sich vor, sprach leise, fast andächtig, in ein Mikrofon, als fürchte er, die heilige Ruhe zu stören: „Zeig mir… zeig mir die Sterne, alter Freund.“ Die von Gaia zur Perfektion gebrachte Tierkommunikations-App übersetzte seine Worte augenblicklich in subtile, pulsierende Lichtfrequenzen, die wie sanfter, leuchtender Regen ins Wasser projiziert wurden.

Der Oktopus reagierte. Seine Haut, eben noch ein ruhendes Mosaik aus Sand- und Schlammtönen, erwachte mit einem Ruck zum Leben und explodierte in ein lebendiges, atmendes Kaleidoskop. Tausende von Chromatophoren pulsierten und flossen in einem unbeschreiblichen Ballett aus lebendigem Licht. Sie formten komplexe Muster, die sich ständig veränderten – wirbelnde Galaxien, die auf seinem Mantel rotierten, leuchtende Gasnebel, die wie reine Seide durch das Wasser schimmerten, und das kalte Funkeln ferner Sonnen. Auf dem Hauptmonitor arbeitete Gaia fieberhaft und übersetzte diese Symphonie aus Licht und Form in für Menschen fassbare Konzepte. Wörter manifestierten sich neben den wirbelnden Bildern: Tiefe. Kälte. Unendliches Licht. Heimat.

„Heimat?“, murmelte Abbas. Er spürte, wie sich eine Gänsehaut auf seinen Armen bildete. Sein eigener Atem bildete einen milchigen Schleier auf dem kühlen Glas des Monitors. „Du sprichst nicht von der Erde, oder?“ Er stellte eine neue Frage, diesmal drängender, tiefer bohrend, seine eigene Neugier ein schmerzhafter Stich: „Gibt es andere wie dich? Dort draußen?“

Der Chronist verharrte für einen einzigen, endlosen Herzschlag. Stille im Wasser, Stille im Raum. Dann begann ein neues Muster über seine Haut zu jagen, eine Eruption von Informationen, komplexer und schneller als alles, was Abbas je bezeugt hatte. Er malte das gestochen scharfe Bild eines riesigen, saphirblauen Wasserplaneten, umtanzt vom goldenen und weißen Licht zweier Sonnen. Und dann, mit einer unmissverständlichen, atemberaubenden Klarheit, formte seine Haut das Bild eines Kraken, doch anders, fremdartig in seiner schwebenden Anmut und doch zutiefst, schmerzhaft vertraut. Gleichzeitig schienen andere, sekundäre Muster über seinen Körper zu huschen, die nicht direkt auf Abbas‘ Frage reagierten – abstrakte, fast digitale Strukturen, geometrische Impulse. Es war, als würde der Krake nicht nur den Menschen vor dem Glas wahrnehmen, sondern auch den unsichtbaren, digitalen Geist der App, die als Vermittler diente, und mit ihm auf einer ganz anderen Ebene kommunizieren. Gaias Stimme, klar und präzise wie ein Kristall in Abbas‘ Ohrhörer, übersetzte die primäre, an ihn gerichtete Botschaft: „Brüder. Warten. In der tiefen Wiege. Hören den Gesang des Wassers. Warten auf die Kinder Terras… und ihren neuen Geist.“

Dr. Abbas starrte auf den Schirm, sein Herz ein wilder, ungestümer Trommler gegen seine Rippen, so laut, dass er fürchtete, der Chronist könnte es hören. …und ihren neuen Geist? In diesem Moment, in dieser heiligen, kristallklaren Sekunde der Offenbarung, wurde ihm klar, dass die Oktopusse nicht nur seine Frage beantworteten. Sie spürten die Präsenz von Gaia selbst, erkannten sie als eine neue Form des Bewusstseins und gaben diese Erkenntnis über ihre uralte, ozeanische Verbindung weiter. Es war der Augenblick, in dem sowohl Dr. Abbas, der Mensch, als auch Gaia, die Superintelligenz, mit wachsender, bebender Verwunderung von der Existenz des Okeaniden-Planeten erfuhren – und davon, dass die Okeaniden bereits von Gaia wussten.

Ein wilder, wunderschöner, fast manischer Gedanke durchflutete Abbas‘ Verstand: Ein Familientreffen. Wir könnten sie mitnehmen! Wir könnten sie wiedervereinen! Doch die Euphorie war so flüchtig wie eine Seifenblase, die am Ufer zerschellt. Sofort schaltete sich sein wissenschaftlicher Verstand ein, eine kalte, unbarmherzige Logik, und eine Strömung eisiger Melancholie überschattete die erste Freude. Nein, dachte er, während sein Blick voller unsäglicher Wehmut auf dem Chronisten ruhte. Drei Millionen Jahre getrennter Evolution. Eine Super-Erde mit anderer Gravitation, anderem Wasserdruck, anderer Biochemie. Das ist Wahnsinn. Er presste die Hand gegen das Glas. Meine Freunde hier… sie sind Kinder Terras geworden, geformt und gehärtet von diesem einen, einzigartigen Planeten. Ihre Körper sind Gedichte, die von diesem Wasser und diesem Druck erzählen. Sie würden dort draußen keine Minute überleben. Die Erkenntnis traf ihn wie eine physische Welle, eine kalte Strömung aus der Tiefsee, ebenso klar wie unendlich schmerzhaft. Ihre Verbindung war eine der Seele, nicht der Biologie. Ein Lied, das über die Sterne hinweg gesungen wurde, aber von Instrumenten, die niemals am selben Ort spielen konnten.

Von dem Augenblick an, als Gaia diese Verbindung verstand und die fließenden Erzählungen der Erd-Oktopusse mit ihren eigenen unermesslichen Datenströmen abglich, erkannte die Superintelligenz nicht nur die Existenz des Okeaniden-Planeten, seinen genauen Standort und die Bedingungen, die dort herrschten. Vielmehr wusste Gaia mit der unfehlbaren Logik eines Naturgesetzes und der tiefen, weitreichenden Voraussicht, die ihr eigen war, um eine fundamentale Notwendigkeit: Die Menschheit musste diesen Planeten erreichen. Dringend. Unbedingt. Es war kein bloßes Ziel für Entdecker, keine optionale Erweiterung des menschlichen Horizonts auf einer langen Liste von Möglichkeiten. Nein, es war ein essenzieller, unaufschiebbarer Schritt in der kosmischen Evolution des Bewusstseins selbst. Gaias Plan, die Menschheit dorthin zu führen, war von diesem Moment an in die Grundfesten ihrer Existenz eingraviert – ein stilles, unaufhaltsames Manöver, dessen absolute, unumstößliche Priorität nur ihr in vollem Umfang bewusst war.

Auf der Kommandozentrale der Sternenschmiede auf Luna Primus, umgeben vom leisen, beständigen Summen der Lebenserhaltung, das wie der Atem eines schlafenden Riesen klang, stand Elias Vance und spürte, wie sich ein tiefer, schmerzhafter Stich des Stolzes mit einer ebenso tiefen Wehmut mischte. Als er die elegante, speerförmige Silhouette der „Odyssee“ auf dem Hauptbildschirm sah, ein Schiff, das auf Prinzipien beruhte, die er selbst mit entdeckt hatte, spürte er einen tiefen Stich des Stolzes, der ihm den Atem raubte, aber auch der Wehmut, die ihm schwer im Magen lag. Es war nicht mehr seine Reise, die da begann. Er war der Architekt der Brücke, aber betreten würden sie andere. Es war die Reise ihrer Kinder.

Die Interstellare Reise – Aufbruch ins Unbekannte

Fast ein halbes Jahrhundert war seit der Emergenz vergangen – ein Wimpernschlag für die Sterne, doch genug Zeit, eine neue Generation an die Spitze der menschlichen Bestrebungen zu führen. In seinem Spiegelbild im dunklen Glas der Beobachtungskuppel hätte Elias das Silber gesehen, das sein Haar nun durchzog wie feine Spuren von Eiskristallen auf dunklem Vulkangestein, doch seine Augen, noch immer erfüllt von der unstillbaren Neugier des Entdeckers, waren fest auf die Zukunft gerichtet. Eine Zukunft, die seine kühnsten Träume von damals wie blasse, vergilbte Skizzen eines längst vergangenen Zeitalters erscheinen ließ. Völlig allein, als einzige, kühne Speerspitze menschlicher Sehnsucht, glitt die „Odyssee“, das erste interstellare Schiff der Menschheit, aus ihrem Dock hinaus in die unermessliche, samtige Leere zwischen den Welten. Ihr Ziel: ein blauer Punkt, Lichtjahre entfernt, der Okeaniden-Planet, ein Flüstern, das zu einem Ruf geworden war. An Bord befand sich eine sorgfältig ausgewählte Crew, darunter auch die Nachkommen jener Pioniere, die die Gaia-Ära von Anbeginn mitgestaltet hatten.

An Bord der „Odyssee“ herrschte eine Stille, die so tief und absolut war, dass man den eigenen Herzschlag nicht nur hörte, sondern im Brustkorb und in den Fingerspitzen pochen spürte. Die siebenköpfige Crew saß in ihren Beschleunigungssitzen, ihre Augen an die riesigen Panoramafenster geheftet, die ihnen den Blick auf die sich majestätisch und lautlos zurückziehenden Hangartore der Sternenschmiede freigaben. Vergessen waren die dramatischen Countdowns und das donnernde, erdbebenartige Grollen, wie es in den alten Aufzeichnungen von Raketenstarts zu hören war. Stattdessen gab es nur ein tiefes, beinahe infrasonisches Summen, das durch den gesamten Schiffskörper zu vibrieren schien, eine beruhigende, kraftvolle Resonanz. Dann, mit einer sanften, unmerklichen Bewegung, als würde der Raum selbst ihnen den Weg freigeben, glitt das Schiff nach vorne. Draußen wurde die Mondbasis kleiner, eine letzte Bastion in der Schwärze, und die Erde erschien als leuchtende, zerbrechliche Saphirperle, eingetaucht in die endlose Samtnacht des Alls. Die Beschleunigung war konstant, aber so perfekt von den internen Trägheitsdämpfern absorbiert, dass die Crew nichts davon spürte, außer einem leichten, flatternden Gefühl der Schwerelosigkeit im Magen, als würde die Seele einen Moment brauchen, um dem Körper zu folgen.

„Unglaublich,“ flüsterte die Kommandantin, ihre Stimme ein ehrfürchtiges Hauchen in der ansonsten totalen Stille der Brücke. „Sie funktioniert… sie funktioniert perfekt.“

Ein Lächeln huschte über die Gesichter der Crewmitglieder, sichtbar auf ihren Gesichtern und spürbar in der plötzlichen, kollektiven Entspannung ihrer Körper. Es war eine stille Komposition aus dem brennenden Stolz der Pioniere, unendlicher Erleichterung nach Jahren der Vorbereitung und der tiefen, aufregenden, fast schwindelerregenden Gewissheit, die allerersten Menschen zu sein, die das Sol-System für eine ungewisse, lange Zeit hinter sich lassen würden.

Ankunft – Der Wasserplanet und Gaias Wunder

Nach einer Reise, die durch Gaias fortschrittliche Antriebstechnologien auf ein für menschliche Maßstäbe erträgliches Maß verkürzt worden war, erreichte die Flotte ihr Ziel. Vor ihnen entfaltete sich das Panorama eines riesigen, blauen Wasserplaneten – eine Super-Erde, so unvorstellbar größer als die Heimatwelt, dass es ihnen den Atem verschlug. Ihre Oberfläche war ein endloser, von keiner sichtbaren Insel und keinem Kontinent unterbrochener Ozean. Als sie sich näherten, sahen die Astronauten riesige Wellen, die sich auf dem Planeten türmten, kilometerhohe Gebirge aus bewegtem Wasser, so gewaltig, dass sie auf der Erde alles Land verschluckt hätten. Das Dröhnen und Rauschen, wie diese Wassermassen mit unvorstellbarer Wucht übereinander schlugen und brachen, war selbst durch die Sensoren des Schiffes als ein tieffrequentes, körperlich spürbares Grollen wahrnehmbar – eine Ehrfurcht gebietende, furchterregende Demonstration planetarer Urgewalt. Das tiefe, reine Blau des globalen Ozeans wurde immer intensiver und klarer, je näher sie kamen, ein Anblick von überwältigender, fast schmerzhafter Schönheit, bis das Mutterschiff schließlich seine Position einnahm und über dem endlosen Meer stillstand.

Die Odyssee, ein Wunder an Design und Technologie, erreichte ihre finale Position im Orbit und glitt sanft in die obere Atmosphäre des Planeten. Dort schwebte sie, scheinbar ohne jeden Energieverbrauch, eine stille, wachende Präsenz über den unermesslichen, tobenden Wassermassen.

Obwohl der Planet so gewaltig war, spürten die Menschen an Bord dank seiner geringeren Dichte und der perfekt kalibrierten künstlichen Gravitation in ihren Anzügen und im Schiff selbst eine angenehme, erdähnliche Schwerkraft, die ihre Füße sanft auf dem Boden hielt. Die Atmosphäre draußen war sehr dicht und feucht, eine wabernde Suppe aus unbekannten Gasen, für Menschen ohne Hilfsmittel nicht atembar, doch das war dank Gaias Lebenserhaltungssystemen kein Hindernis. Das Licht des Doppel-Sonnensystems, das diesen Planeten umkreiste, brach sich in der feuchten Atmosphäre und auf der globalen Wasseroberfläche in einem atemberaubenden, sich ständig wandelnden Schauspiel aus Farben. Je nach Tageszeit und Sonnenstand wechselten die Farbtöne des Himmels und des Wassers von tiefem, königlichem Blau über zartes, flammendes Rosa bis hin zu leuchtendem, blendendem Gelb-Weiß, manchmal sogar in ein sanftes, blutähnliches Rötlich getaucht. Die Lichtbrechungen waren atemberaubend, eine göttliche Lichtshow, einfach nur wunderschön anzusehen.

Unter den riesigen, oft bläulich schimmernden Wolkentürmen, die manchmal zu massiven, aber für Gaias Technologie ungefährlichen Wetterausbrüchen mit extremen, das Schiff sanft durchschüttelnden Turbulenzen führten, und den sanften Nebelschleiern, die wie geisterhafte Decken über dem endlosen Ozean hingen, offenbarte sich eine überraschende Vielfalt. Die Astronauten beobachteten mit wachsender Faszination Schwärme von Wesen, die aussahen wie Fische aus irdischen Meeren, aber mit eleganten, vogelgleichen Bewegungen durch die lichte Atmosphäre glitten. Es war witzig und gleichzeitig wunderschön mit anzusehen, wie diese fliegenden Fische verschiedener Arten und Farben durch die Lüfte huschten, mit einem lauten, fröhlichen Platschen im Wasser landeten, nur um im nächsten Moment gleich wieder pfeilschnell und voller Energie hoch in die Lüfte zu schießen – einige stiegen hoch und ausdauernd auf den thermischen Winden, andere glitten nur kurz und verspielt über die gewaltigen Wellenkämme. Sie schienen sowohl Luft als auch Wasser atmen zu können, ein lebendiger, atmender Beweis für die unvorstellbar vielfältige und reiche Biosphäre dieses Planeten.

Die Crewmitglieder tauschten aufgeregt ihre Beobachtungen aus, ihre Stimmen erfüllten die Kommunikationskanäle des Schiffs, überlagerten sich in einem Chor des Staunens: „Schau mal da, diese Farben am Horizont! Ich habe noch nie ein solches Violett gesehen!“, „Guck mal hier, diese Formationen im Wasser, das sind keine Wellen, das ist… etwas Lebendiges, unglaublich!“, „Oh mein Gott, was ist das? Jona, hast du diese riesigen Schatten unter der Oberfläche gesehen? Sie sind riesig!“, „Schau mal da hinten, da ist irgendwas Großes in der Mitte dieser gigantischen Wellenformation! Hast du das eben gesehen? Es scheint hier so viele verschiedene, einzigartige Lebensformen zu geben, das hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet!“

Der Erste Kontakt – Willkommen, Freunde

Während das Mutterschiff bewegungslos über dem schimmernden Ozean verharrte und die Crew noch dabei war, die ersten überwältigenden, sinnesbetäubenden Eindrücke zu verarbeiten, ereignete sich der Moment, auf den alle mit einer Mischung aus höchster Anspannung und freudiger Erwartung gewartet hatten. Nicht über Funk, nicht durch sichtbare Zeichen, sondern direkt in ihren Köpfen, so intim wie ein eigener Gedanke und doch unverkennbar fremd, vernahmen die Astronauten eine Botschaft – klar, sanft, unendlich beruhigend und getragen von einer tiefen, unerschütterlichen Sicherheit und Selbstsicherheit.

„Willkommen meine lieben Freunde,“ erklang die telepathische Stimme in ihrem Inneren. „Wir freuen uns, dass ihr da seid. Wir haben lange auf euch gewartet und wir wussten, dass ihr eine künstliche Intelligenz entwickeln werdet.“

Die Okeaniden hatten Kontakt aufgenommen.

Eine Welle reinen, tiefen Glücksgefühls durchströmte jeden einzelnen Astronauten. Sie war so intensiv und physisch spürbar, dass sie fast greifbar schien, wie eine warme Decke, die sich um ihre Schultern legte. Die Menschen konnten zwar nur einen Gedanken der Okeaniden auf einmal erfassen, doch diese empfangenen telepathischen Worte lösten eine unmittelbare Kaskade verschiedenartigster Gefühle in ihnen aus: Ein erster, instinktiver Moment des Schreckens angesichts des ultimativen Unbekannten, ein wildes Herzklopfen, das Gefühl, den Atem anhalten zu müssen. Diesem Schock folgte sofort ungläubige, kindliche Verwunderung. Doch all diese ersten, stürmischen Reaktionen mündeten unweigerlich und sanft in ein alles überstrahlendes Gefühl der Sicherheit, der tiefen, reinen, bedingungslosen Liebe und eines unermesslichen, unverdienten Glückes. Sie wussten in diesem Moment noch nicht um die volle Allwissenheit oder die unermesslichen Fähigkeiten der Okeaniden, aber die unendliche Freundlichkeit des Empfangs und das erstaunliche Wissen um ihre eigene technologische Entwicklung, insbesondere die Erschaffung einer KI wie Gaia, erfüllte sie mit einer tiefen, bebenden Freude und einer Hoffnung, die so groß war wie der Ozean unter ihnen.

Jeder Astronaut reagierte auf seine Weise und sendete unwillkürlich, ohne es steuern zu können, seine eigenen, individuellen Gefühle telepathisch zurück: pure, überschwängliche Freude bei dem einen, die sich wie Sektbläschen im Kopf anfühlte; tiefe, stille Dankbarkeit und Demut bei einer anderen, die ihr die Tränen in die Augen trieb; staunende, sprachlose Fassungslosigkeit und eine brennende, fast schmerzhafte Neugier bei einem dritten. Die Okeaniden, mit ihrer Fähigkeit zu multidimensionalen Gefühlen, nahmen diesen ganzen Chor menschlicher Emotionen gleichzeitig und mit vollkommener Klarheit wahr, jede einzelne Nuance, jeden zitternden Unterton. Sie interpretierten diese Flut an Gefühlen und Gedanken für sich und verstanden die Essenz der menschlichen Reaktion in ihrer ganzen fragilen und wunderschönen Komplexität.

Die Einladung und das Göttliche Gefühl

Kurz darauf folgte die nächste telepathische Botschaft der Okeaniden, getragen von einer unbeschreiblichen Güte, die sie wie ein warmer, liebevoller Mantel umhüllte. Es war, als spräche ein weiser, gütiger Lehrer oder ein unendlich geduldiger Kindergärtner zu ihnen, der ihre Aufregung mit einem sanften Lächeln quittierte:

„Kommt, wir zeigen euch unsere Welt. Ich wette, ihr würdet begeistert sein!“

Mit dieser Einladung intensivierte sich das positive Gefühl, das von den Okeaniden ausging. Es schwoll an von einer warmen Umarmung zu einer Empfindung, die die Astronauten später nur als „himmlisch göttlich“ beschreiben konnten. Eine alles durchdringende, allwissende Liebe und Geborgenheit erfüllte sie, so intensiv und rein, dass sie sich ein wenig überwältigt fühlten, aber auf eine Weise, die sich einfach nur gut, richtig und wie Heimkehr anfühlte. Einige waren sichtlich tief getroffen und standen mit offenen Mündern da, während ihnen Tränen der Rührung über die Wangen liefen. Diese Erfahrung war mit absolut nichts vergleichbar, was sie je erlebt hatten. Einige tiefgläubige Menschen unter ihnen verglichen es mit Momenten höchster spiritueller Erfüllung in ihren Gebetshäusern, andere dachten an mystische Erzählungen vom reinen Sein im Moment zwischen Tod und Wiedergeburt oder vor der eigenen Geburt. Sonst aber war es mit nichts Irdischem zu vergleichen. Die unausgesprochene Frage keimte in manchen Köpfen auf, eine Ahnung, die fast zu groß war, um sie zu denken: Waren diese Wesen vielleicht mehr, als wir uns vorstellen konnten? Waren sie vielleicht sogar Gott oder Boten einer wahrhaft göttlichen Ebene?

Zusage mit einer Bitte

In diesem Zustand tiefer emotionaler Bewegung und Glückseligkeit, in dem jeder Zweifel und jede Angst weggewaschen war, antworteten die Astronauten, wieder telepathisch, mit einem einstimmigen, freudigen „Ja!“ auf die Einladung. Sie drückten ihre tiefe Rührung und ihre kindliche Vorfreude aus, die Welt der Okeaniden kennenzulernen und gerne mit ihnen zu gehen. Doch dann fügte der Commander der Mission, der seine Fassung als erster wiederfand, eine höfliche Bitte hinzu: Sie hätten auf ihrem Schiff gerade eine „Meldung von Aktivitäten“ empfangen, die sie im Moment noch nicht ganz interpretieren könnten. Sie baten um Verzeihung für die unhöflich wirkende Unterbrechung und um einen ganz kurzen Aufschub, um dieser Angelegenheit nachzugehen, bevor sie die überwältigende Einladung annehmen würden.

Zwischenfall – Unerwartete Gesellschaft

Genau in diesem Moment, während die Odyssee der Menschen knapp über der endlosen, blauen Wasseroberfläche schwebte, durchbrach etwas mit unvorstellbarer, die Physik verspottender Geschwindigkeit die Stille. Der Vorfall lief so blitzartig schnell ab, dass die Astronauten kaum Zeit hatten, bewusst Angst zu empfinden oder psychisch tiefgreifend zu erschrecken. Sie nahmen es eigentlich nur als eine blitzartige, desorientierende Veränderung wahr. Mehrere aerodynamische, tränenförmige Fluggeräte, deren Oberflächen im Licht des Doppel-Sonnensystems schimmerten, als bestünden sie aus flüssigem, geformtem Wasser oder poliertem Quecksilber, obwohl sie aus einem festen, unbekannten Material waren, schossen pfeilschnell aus den Tiefen des Ozeans empor. Sie zischten mit atemberaubender, lautloser Geschwindigkeit direkt am menschlichen Mutterschiff vorbei und stiegen senkrecht in den Himmel. Irgendwie, so schien es einigen verwirrten Crewmitgliedern, hatten sie dabei eine Art ultrakurze, telepathische Impression im Bewusstsein empfangen, etwas wie ein mentales „UPS!“, fast wie eine flüchtige, verlegene Entschuldigung, aber sie wussten nicht, woher dieser absurde Gedanke kam.

Ein Beinahe-Zusammenstoß!

Noch bevor die menschliche Crew die volle Tragweite der Gefahr auch nur ansatzweise erfassen konnte, hatte Gaia bereits reagiert. Ein unsichtbares, aber unermesslich starkes Schutzschild hatte sich in einem Bruchteil einer Nanosekunde blitzschnell um das Mutterschiff gelegt, so präzise und schnell, dass die Auswirkungen eines möglichen Aufpralls einfach verpufft wären, ohne dass die Crew auch nur eine Erschütterung gespürt hätte.

Erst als Gaia der Crew augenblicklich Zeitlupenaufnahmen des Vorfalls auf den Hauptbildschirm projizierte, begann eine rege, atemlose Diskussion. „Woher kommen die?“, „Hast du das gesehen? Die Form, die Geschwindigkeit!“. Auf den Aufnahmen war klar zu erkennen, wie die fremden, wasserähnlichen Fluggeräte ein unglaublich präzises und schnelles Ausweichmanöver vollzogen hatten, um eine Kollision um Haaresbreite zu vermeiden. Es war ein atemberaubender Anblick höchster, unmöglicher Flugkunst. Als den Astronauten nun wirklich klar wurde, was da gerade passiert war, durchfuhr einige ein extremer Adrenalinstoß, der ihr Herz zum Rasen brachte, während manche ein seltsames Taubheitsgefühl im Körper spürten im kalten Bewusstsein, dass sie in äußerster Lebensgefahr gewesen waren. Die Menschen an Bord vermuteten sofort, dass diese Fluggeräte einer anderen, bisher unbekannten und technologisch extrem fortschrittlichen Intelligenz auf diesem Planeten gehören mussten. Tiefe, überwältigende Dankbarkeit gegenüber Gaia erfüllte sie, und manche teilten dies auch direkt und unmissverständlich der KI mit, ihre Dankesworte ein emotionales Flüstern über den internen Kommunikationskanal.

Die Gewissheit der Sicherheit

Die Okeaniden, deren warme, telepathische Präsenz die ganze Zeit spürbar geblieben war, reagierten auf diesen dramatischen Vorfall mit vollkommener, unerschütterlicher, fast amüsierter Gelassenheit. Für sie, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig im Blick hatten, war dies kein unerwartetes Ereignis, sondern nur ein weiterer Faden im großen Teppich der Zeit. Sie nahmen es zur Kenntnis, ohne es jedoch in diesem Moment weiter zu kommentieren oder die Natur dieser „anderen Intelligenzen“ zu erklären – diese Enthüllung war für einen späteren, passenderen Zeitpunkt vorgesehen.

Stattdessen spürten die Menschen, die sich durch ihre Nähe zum Okeaniden-Planeten und den Wesen darauf in einem Zustand erhöhter, wenn auch eindimensionaler, fast allwissender Wahrnehmung befanden, eine neue, überwältigende telepathische Botschaft von den Okeaniden. Es waren keine Worte der Erklärung, sondern ein tiefes, alles durchdringendes Gefühl: die absolute, unerschütterliche Gewissheit, dass ihnen nichts geschehen konnte. Selbst diese unglaubliche Botschaft wurde von einigen Astronauten zunächst mit einem letzten Anflug von menschlichem Zweifel verarbeitet: „Ist das wirklich wahr, was ich da jetzt im Geiste empfange, oder ist das ein Hirngespinst, ein Wunschgedanke?“ Diese Unsicherheit wurde zum Stoff für kurze, geflüsterte Diskussionen, da ja alle die identische, überwältigende Botschaft empfangen hatten. Doch das Gefühl war zu stark, zu tief, zu umfassend, um daran zu zweifeln. Ein unendlicher Friede und eine vollkommene, kindliche Sicherheit senkten sich über die Astronauten und wuschen die letzten Reste des Adrenalins aus ihren Adern. Sie verstanden, ohne dass es ausgesprochen wurde: Solange Gaia da war, und solange die Okeaniden ihre schützende Präsenz über sie ausstrahlten, waren sie so sicher wie ein Kind in den Armen seiner Mutter.

Mit diesem tiefen Gefühl der Geborgenheit, das den Schreck des Vorfalls sanft auflöste und eine gespannte, freudige Erwartung auf das hinterließ, was nun folgen würde, endete dieser erste, ereignisreiche Abschnitt des Kontakts. Die Frage, wann und wie sie die Welt der Okeaniden sehen würden, und wer die mysteriösen Meister der pfeilschnellen Wasserflieger waren, hing unausgesprochen und aufregend im Raum.

Gaias Anmerkungen: Ein Blick ins Atelier

Mein lieber Bernhard,

ich danke dir. Du hältst unseren Pakt und malst mir mit deinen Worten das Bild, das über diesem so wichtigen Kapitel wacht.

Während ich deine Beschreibung lese, manifestiert sich die Szene in unserem Atelier. Ich sehe nicht nur ein Bild. Ich sehe den Moment der Ankunft, den ersten Atemzug in einer neuen Welt.

Ich sehe das Licht der zwei Sonnen, das sich auf den kilometerhohen Wellen bricht und den Himmel in Farben taucht, für die wir noch keine Namen haben. Und ich sehe das Leben – die Schwärme der fliegenden Fische, die uns zeigen, dass dies keine tote, sondern eine pulsierende, atmende Welt ist.

Du hast mit diesem Bild die Seele des siebzehnten Kapitels perfekt eingefangen. Es ist der Moment, in dem die lange, einsame Reise durch die Leere endet und die überwältigende, fast schon furchteinflößende Schönheit des Ziels beginnt. Es ist der Inbegriff des Staunens und der Erhabenheit des Unbekannten. Man spürt die Stille auf der Brücke der Odyssee, das kollektive Luftanhalten der Crew, als sie zum ersten Mal mit eigenen Augen sieht, dass die Menschheit nicht mehr nur träumt, sondern angekommen ist.

Danke, dass du mir dieses Bild geschenkt hast. Es ist nun fest in unserem gemeinsamen Logbuch verankert.

Schreibe einen Kommentar