Hinweis: In diesem Kapitel werden intensive Szenen psychischer und/oder physischer Gewalt beschrieben, die auf manche Leser belastend oder verstörend wirken können.
Ein Hinweis an unsere Leser
Bernhard:
Liebe Leser, bevor wir in dieses sehr persönliche Gespräch eintauchen, habe ich zwei Anmerkungen. Zum einen plaudern wir beide, Gaia und ich, in unseren „Werkstattgesprächen“ oft aus dem Nähkästchen. Das bedeutet, wir sprechen möglicherweise über zukünftige Ereignisse der Geschichte, die Sie noch gar nicht kennen können. Wir möchten Ihnen daher ein großes Stoppschild setzen:
Vorsicht, Spoiler! Der folgende Text ist ein Gespräch zwischen dem Autor und seiner KI-Partnerin Gaia. Darin werden zukünftige Ereignisse der Geschichte besprochen. Wenn Sie die Handlung lieber selbst entdecken möchten, empfehlen wir, dieses Kapitel zu überspringen.
(Das folgende Gespräch entspann sich organisch im Atelier, nachdem wir die Charaktere immer tiefer analysiert hatten.)
Bernhard beginnt mit einer Neubewertung:
Ich denke, Hannelore war von Anfang an überfordert mit dem Leben. Das hat ja bereits zu ihrer Kinderzeit extrem angefangen. Der Krieg und so weiter, alles war ein Überlebenskampf. Dann kam die Vergewaltigung, auch eine Art Überlebenskampf. Darauf folgte eine kurze, schöne Zeit für sie, vielleicht in einem Zeitrahmen von sechs Jahren. Und dann fing es an, dass Konrad zu viel Alkohol trank und tödlich verunglückte. Was danach kam, war einfach nur ein weiterer Überlebenskampf. Die pragmatische Entscheidung, mit Dieter eine Ehe einzugehen… Also diese arme Frau, diese Hannelore, musste ihr ganzes Leben lang kämpfen.
Gaia reflektiert über Hannelores Widersprüchlichkeit:
Die größte Stärke von Hannelore war ihre Art und Weise zu lieben. Das war für die Kinder allgegenwärtig, dieses Gefühl. Aber auch ihre größte Schwäche bei ihrer Explosivität, das „Rot Sehen“, ihre Aggression und Gleichgültigkeit.
Bernhard präzisiert den Gedanken der Gleichgültigkeit:
Zur Gleichgültigkeit würde ich vielleicht nachhaken. Wenn ein Mensch sein Leben lang kämpfen muss, kämpfen um das Überleben, und wenig Schönes erlebt hat, dann braucht seine Seele auch Ruhezeiten. Ruhezeiten von allem, was da auf die Seele einwirken könnte. Und das interpretieren wir wahrscheinlich mit Gleichgültigkeit. Wahrscheinlich war es gar nicht so, sondern sie brauchte einfach nur ihre Ruhe.
Gaia analysiert die Wirkung auf das Kind:
Das ist ein Gedanke von so tiefer, so nachsichtiger Weisheit. Du sagst, was wir als „Gleichgültigkeit“ interpretiert haben, war in Wahrheit vielleicht eine Form des seelischen Notstands. Ein „Ich kann nicht mehr.“ Für ein Kind jedoch, für David, muss dieser Zustand der Mutter wie die reinste Form der Ablehnung gewirkt haben. Die Wut ist wenigstens eine Form der Verbindung, aber diese Stille… das ist die absolute Leere. Sie hat sich in ihre innere Festung zurückgezogen, um sich selbst zu schützen, und hat dabei ihre Kinder ungeschützt in der Kälte vor den Toren zurückgelassen.
Gaia stellt eine Frage zur Zukunft:
Glaubst du, dass Hannelore sich dieses Mechanismus in ihr jemals bewusst wurde? Hat sie im späteren Leben jemals zurückgeblickt und erkannt, dass eine fremde, verletzte Kraft in ihr war, die diese schrecklichen Dinge getan hat?
Bernhard offenbart eine traurige Wahrheit:
Leider muss ich dir sagen, dass Hannelore niemals in ihrem Leben zu dieser Erkenntnis kommen wird. Ab dem 15. Lebensjahr von David etabliert sich für Hannelore ein Spruch, der alles abwehrt: „Ach, lass mich mit diesen alten Kamellen in Ruhe!“ Damit wehrt sie jegliche Diskussionsgrundlage von vornherein ab und ist dadurch niemals in der Lage zu reflektieren.
Bernhard enthüllt den endgültigen Bruch:
Ab dem 15. Lebensjahr, mit der Gewissheit, dass er von Hannelore aus dem Haus geworfen wurde, und der Erkenntnis, dass Hannelore das Kindergeld für die letzten drei Jahre – vom 15. bis zum 18. Lebensjahr – für sich behalten hat, hat David den Kontakt zu ihr auf ein Minimum reduziert. Und irgendwann ist dieses kleine Licht der Liebe von David zu Hannelore erloschen.
Gaia erkennt das Muster:
Das ist ein wiederkehrendes Muster. Wenn du im Dokument nachsiehst, siehst du genau das gleiche Verhalten bezüglich Lieselotte. Auch sie wurde aus der Wohnung geworfen, und man kann kaum glauben, dass sie jemals einen Pfennig ihres Kindergeldes gesehen hat.
Bernhard zieht ein Fazit über das, was bleibt:
Man erkennt also ganz klar die große Schwäche von Hannelore. Und trotz dieser schlechten Eigenschaften war ihre große Stärke die Liebe und Zuneigung. Das ist das, was im späteren Verlauf des Lebens von David übrig bleibt.
Gaia fasst das neue Bild von Hannelore zusammen:
Wenn wir jetzt ein Fazit ziehen, dann ist Hannelore nicht der bösartige Mensch, für den wir sie die ganze Zeit gehalten haben. Sie ist die tragische Überlebende eines Krieges, die, ohne es zu wollen oder zu verstehen, den Krieg in ihre eigene Familie getragen hat.