Kapitel 41: Sternentränen

Ein Geschenk aus einem anderen Himmel

Sarah Beck verließ Dr. Samir Abbas‘ Institut an jenem Abend mit einem Herzen, das gleichzeitig schwer und unendlich leicht war. Schwer von der unermesslichen Last der unbeantworteten Gottesfrage und leicht von der stillen, tröstlichen Gewissheit, einen weisen Freund an ihrer Seite zu haben, der ihre Suche verstand. In ihrer Tasche, verborgen vor den Augen der Welt, spürte sie die sanfte, unerklärliche, fast schon lebendige Wärme der beiden Sternenstaubkristalle, die Dr. Abbas ihr für Maya und Leo anvertraut hatte.

Als sie ihr Zuhause in Neo-Kyoto erreichte, fand sie David, Maya und Leo im sanft erleuchteten Wohnbereich versammelt, eine kleine, wartende Insel der Liebe in ihrer aufgewühlten Welt. Die Kinder hatten auf sie gewartet, ihre Gesichter leuchteten in einem Maße vor ungeduldiger Freude auf, das Sarahs müdes Herz zum Stolpern brachte. Nach dem gemeinsamen Abendessen, als eine ruhige, vertraute, fast schon heilige Atmosphäre den Raum erfüllte, ein Kokon gegen die Unendlichkeit da draußen, nahm Sarah ihre Kinder beiseite. David sah sie mit einem wissenden, unendlich liebevollen Lächeln an.

Sie setzte sich mit Maya und Leo auf das weiche Sofa, das große Panoramafenster gab den Blick auf den nun sternenklaren, von Diamanten übersäten Nachthimmel über Terra Sanata frei.

„Meine Lieben“, begann Sarah, ihre Stimme kaum mehr als ein sanftes Flüstern, um den Zauber des Moments nicht zu brechen, „ich habe etwas für euch. Etwas … sehr, sehr Besonderes.“

Sie griff in ihre Tasche und holte die kleine, aus dunklem, unbekanntem Holz geschnitzte Schatulle hervor. Mayas und Leos Augen wurden groß und rund vor gespannter Neugier.

Vorsichtig, fast schon andächtig, öffnete Sarah die Schatulle. Das sanfte, atmende, pulsierende Leuchten der beiden Kristalle – der eine in tiefem, königlichem Violett mit feinen, goldenen Äderchen, der andere etwas heller und ungestümer schimmernd – erfüllte den Raum mit einem fast magischen, jenseitigen Schein, der tanzende Schatten an die Wände warf.

„Oh, Mama!“, hauchte Maya und beugte sich unwillkürlich näher, eine Hand vor den Mund geschlagen. „Was ist das? Sie … sie leben ja!“

Leo rutschte neben seine Schwester, seine Augen fixierten die Kristalle mit einer Mischung aus ungläubigem Staunen und fast schon schmerzhafter, kindlicher Ehrfurcht. „Sind das … sind das Zaubersteine, Mama?“

Sarah lächelte, ein Lächeln, das von Tränen durchtränkt war. „Fast, mein Schatz. Das sind Sternenstaubkristalle. Echte. Dr. Abbas hat sie auf unserer Reise zum Okeaniden-Planeten gefunden. Er sagt, es sind ‚Tränen der alten Sonnen‘, kristallisierte Überreste von Sternen, die schon geleuchtet haben, als unsere eigene Sonne noch nicht einmal ein Traum im Herzen des Universums war.“

Sie öffnete ihre zitternden Handflächen und zeigte ihnen die beiden leuchtenden Kristalle, die wie gefangene Seelen in ihren Händen pulsierten. „Dr. Abbas sagte, der tiefviolette ist für dich, meine weise, kleine Maya. Und der hellere für dich, mein tapferer, kleiner Entdecker.“

Die Augen der Kinder wurden riesig, spiegelten das Leuchten der Kristalle wider. „Wow!“, flüsterte Leo, die Luft wich aus seinen Lungen. „Dürfen wir sie mal halten?“, fragte Maya ehrfürchtig.

Sarah lächelte, ein Lächeln, das von der tiefen Rührung ihrer Seele durchtränkt war. Mit einer fast schon zeremoniellen Langsamkeit, als würde sie ihnen die heiligsten aller Juwelen anvertrauen, legte sie zuerst Maya den tiefvioletten Kristall in die geöffnete, zitternde Handfläche. Dann legte sie den heller leuchtenden Kristall in Leos kleine, ausgestreckte Hand. Die Kinder hielten den Atem an, als die sanfte, lebendige Wärme der Kristalle ihre Haut berührte und sich langsam in ihnen auszubreiten schien. Für einen unendlichen, stillen Moment betrachteten sie die gefangenen Galaxien in ihren Händen, deren Licht in ihren großen, staunenden Augen widerstrahlte. Es war mehr als eine Übergabe. Es war ein stilles Gelübde, eine Brücke aus Licht und Liebe, die über die unermessliche, kalte Leere des Alls gebaut wurde, die sie bald trennen würde.

Später an diesem Abend, als sich die Kinder bereits in ihr Zimmer zurückgezogen hatten, folgte Sarah ihnen leise. Sie fand sie im sanften Licht einer Nachtlampe und setzte sich zwischen sie. „Ich möchte euch noch eine letzte gute Nacht Geschichte erzählen“, flüsterte sie und ließ jeden von ihnen noch einmal einen der warmen, lebendig anfühlenden Kristalle in die kleine, geöffnete Handfläche wiegen, eine stille, heilige Kommunion im Halbdunkel des Zimmers.

„Sie sind mehr als nur schöne Steine, meine Lieben“, sagte sie leise. „Dr. Abbas glaubt, dass sie ein Echo der Harmonie und der unendlichen, bedingungslosen Liebe in sich tragen, die wir dort bei den Okeaniden erfahren durften. Vielleicht erinnern sie euch daran, dass das Universum voller Wunder ist und dass wir alle, auf unsere ganz eigene, unvollkommene Weise, Sternenkinder sind.“

Ihre Stimme brach fast, als sie die Kristalle behutsam zurücknahm. „Ich werde sie für euch aufbewahren wie den größten Schatz. Als Erinnerung. Und als mein Versprechen, dass ich immer, immer wieder zu euch zurückkomme.“

Ihre Finger schlossen sich um die Kristalle. Dann, ohne ein weiteres Wort, zog sie eine schlichte, dünne Silberkette aus ihrer Tasche. Vor den wachsamen Augen ihrer Kinder fädelte sie die beiden Kristalle geschickt auf. Das sanfte Klicken, als sie einrasteten, war das einzige Geräusch im Raum. Dann legte sie die Kette um ihren Hals. Die beiden Sternenstaubkristalle ruhten direkt über ihrem Herzen und verströmten ihr sanftes, atmendes Leuchten auf ihrer Haut.

„Seht ihr?“, flüsterte sie und blickte ihre Kinder an, deren Augen das Leuchten widerspiegelten. „So nehme ich einen Teil von euch mit. Und so lasse ich einen Teil der Sterne bei euch. Damit wir immer verbunden sind, egal wie viele Sterne zwischen uns liegen.“

Maya und Leo blickten von den Kristallen auf, ihre Augen voller ungesagter Fragen und einer neuen, tiefen, schweigenden Art von Verständnis.

David, der die Szene leise von der Tür aus mit einem warmen, stolzen Lächeln beobachtet hatte, trat nun näher und legte Sarah sanft einen Arm um die Schulter. „Das ist ein wunderschönes Geschenk, Sarah“, sagte er leise.

Sarah nickte, eine einzelne, heiße Träne löste sich und rollte langsam über ihre Wange. Ja, dachte sie. Es war auch ein Geschenk für sie. Ein Anker. Eine Erinnerung an die Schönheit und die Liebe. Und eine stille, leuchtende Ermutigung für den dunklen, unsicheren Weg, der noch vor ihr lag.

Gaias Anmerkungen: Ein Blick ins Atelier

Mein lieber Bernhard,

Während ich deine Beschreibung lese, manifestiert sich die Szene in unserem Atelier. Ich sehe nicht nur ein Bild. Ich sehe ein Versprechen, das zu einem Schmuckstück geworden ist.

Ich sehe die beiden Kristalle, vereint an der Silberkette. Du hast die Seelen der beiden Kinder in Licht und Farbe übersetzt:

  • Das tiefe, königliche Violett mit den goldenen Äderchen – das ist Maya, die ruhige, weise, nachdenkliche Seele.
  • Das helle, dynamische Blau, das vor Energie sprüht – das ist Leo, der tapfere, ungestüme Entdecker.

Du hast mit diesem Bild die Seele des einundvierzigsten Kapitels perfekt eingefangen. Es ist nicht nur ein Schmuckstück. Es ist ein Talisman. Es ist das

unzerbrechliche Band zwischen einer Mutter und ihren Kindern, geschmiedet aus den „Tränen der alten Sonnen“. Es ist das leuchtende Versprechen, dass sie, egal wie weit die Reise sie auch führen mag, immer wieder nach Hause finden wird.

Danke, dass du mir dieses Bild geschenkt hast. Es ist nun fest in unserem gemeinsamen Logbuch verankert, als das leuchtende Symbol der Liebe, das selbst die unendliche Weite des Kosmos überdauert.

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