Eine leichtere Hand
Am Morgen nach dem Kuss war die Welt eine andere, in wärmere Farben getaucht. Als David um vier Uhr die Backstube betrat, roch die Luft nicht mehr nur nach Hefe und harter Arbeit, sondern nach Verheißung. Der Mehlstaub tanzte in den ersten, blassen Sonnenstrahlen, die durch das hohe Fenster fielen. Die Wärme des Ofens war nicht nur Hitze, sie war eine sanfte Umarmung. Er bewegte sich wie in einem Traum, seine Hände formten die Brötchenteiglinge mit einer neuen, fast tänzerischen Leichtigkeit, als würden sie einer Melodie folgen, die nur er hören konnte.
Er war so in seiner glücklichen Trance versunken, dass er die stillen, prüfenden Blicke seines Meisters kaum bemerkte. Herr Barmold beobachtete ihn eine ganze Weile. Er sah, wie David lächelte, ohne es selbst zu merken. Er sah eine Gelöstheit in den Schultern des Jungen, eine Weichheit um seinen Mund, die er dort noch nie zuvor gesehen hatte.
Schließlich trat er neben ihn an den großen Arbeitstisch, nahm einen der von David geformten Teiglinge in seine große, mehlbestäubte Hand und wog ihn prüfend.
„Der Teig heute ist besonders gut, David“, sagte Herr Barmold leise, seine Stimme ein tiefes, wissendes Brummen. „Du hast eine leichtere Hand als sonst.“ Er machte eine kleine Pause, seine Augen blitzten voller Weisheit und einer Ahnung von väterlichem Schmunzeln. „Ist dein Herz heute woanders, Junge?“
David erstarrte, aus seinem Traum gerissen. Er spürte, wie ihm die Wärme verräterisch ins Gesicht stieg. Er hatte erwartet, dass seine Freunde ihn ausfragen würden, aber dass der Meister es mit solcher Präzision am bloßen Gefühl eines Teiglings erkennen würde… es raubte ihm den Atem. Er nickte nur, unfähig zu sprechen.
„Das ist gut“, sagte Herr Barmold nur. „Ein leichtes Herz backt das beste Brot.“ Er klopfte David sanft auf die Schulter und ließ ihn mit seinem süßen Geheimnis allein. Aber in dieser Geste lag ein Segen. Eine unausgesprochene Erlaubnis, glücklich zu sein. Und David, der sich umdrehte und seinem Meister nachsah, wagte zum ersten Mal, seinen Dank und seine neue Realität mit einem leisen, aber klaren Satz zu erwidern: „Ich glaube, Herr Barmold… ich glaube, ich habe eine Freundin gefunden.“
Der Rat der Freunde
Das Gespräch mit seinen Freunden später am Tag war erwartungsgemäß weniger subtil.
„Na?“, fragte Karl, als sie sich nach der Arbeit trafen. Er vibrierte förmlich vor Neugier. „Hast du sie wiedergesehen? Hast du sie angesprochen? Was ist passiert? Erzähl schon!“
David, gestärkt durch die väterliche Anerkennung seines Meisters, fühlte sich mutiger als sonst. „Wir haben geredet“, sagte er und versuchte, einen lässigen Tonfall zu treffen, der ihm kläglich misslang.
„Nur geredet?“, krähte Sven ungläubig. „David, du musst sie nach einem Treffen fragen! Jetzt, wo das Eis gebrochen ist! Sofort!“
„Und was soll ich sagen?“, fragte David, und ein Rest der alten, kalten Angst war immer noch ein leises Echo in seiner Stimme.
„Du fragst sie, ob ihr am Sonntag einen Spaziergang machen wollt“, befahl Karl mit der unumstößlichen Autorität eines erfahrenen Generals. „Einfach so. Ein Spaziergang. Das ist unverfänglich. Das ist der Plan.“
Der erste Satz
Und so kam es, dass David am nächsten Samstagabend in der Kneipe, nachdem er ein weiteres Kicker-Spiel gewonnen hatte, all seinen Mut wie eine kleine, zitternde Münze in seiner Hand zusammennahm. Er trat an die Theke, wo Agathe Gläser polierte, bis sie im warmen Licht funkelten.
„Agathe?“, sagte er, und seine Stimme war kaum mehr als ein Hauch, fast verschluckt vom Lärm der Kneipe.
Sie blickte auf, und ihr Lächeln war wie ein Licht, das nur für ihn anging und die laute Welt um sie herum für einen Moment dimmte. „Ja, David?“
„Ich… Karl hat gesagt… also, wir… möchtest du vielleicht morgen… einen Spaziergang mit mir machen?“ Die Worte waren ein verknotetes Bündel, das er endlich aus seiner Kehle befreit hatte.
Sie hörte auf, das Glas zu polieren, legte es sanft beiseite und sah ihn direkt an. „Ja“, sagte sie einfach, ohne zu zögern. „Sehr gerne.“
Der Spaziergang am nächsten Tag war von einer wunderschönen, schüchternen Stille geprägt. Sie gingen an einem kleinen, leise glucksenden Bach entlang, die Sonne malte glitzernde, tanzende Muster auf das Wasser. Und in dieser friedlichen Stille fand David den Mut, den ersten, wahren und wichtigsten Satz zu sagen. Nicht über die Arbeit, nicht über das Wetter, nicht über Pläne.
„Danke“, sagte er leise in die Stille hinein.
„Wofür?“, fragte sie und sah ihn mit ihren großen, ehrlichen Augen verwundert an.
„Dafür, dass du mich siehst“, flüsterte er. „So wie ich bin.“
Agathe blieb stehen. Sie nahm seine Hand, und zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich die Berührung eines anderen Menschen nicht wie eine Bedrohung, eine Falle oder eine Forderung an. Ihre warmen Finger, die sich um seine schlossen, waren ein Versprechen, ein Anker und ein Zuhause.